Kiesheimer.

Humoreske von Alexander Wilke
in: „Hagener Zeitung” vom 21.1.1899


„Also das sag ich Ihnen, lieber Rehren, Ihr Hauptmann und Compagniechef Faerber ist unser Kasinovorstand und hat als solcher einen neuen Tischwein eingeführt, den Kiesheimer, den Sie nun als jüngstes Mitglied unserer Tischgesellschaft unter allen Umständen stets trinken müssen, wenn Sie sich der Gunst Ihres Compagniechefs auch außerdienstlich erfreuen wollen.”

Mit dieser wohlgemeinten Unterweisung führte Fähnrich John seinen Freund Günther in die Räume des Offizierkasinos zu., die dieser heut zum ersten Male als neu eingekleideter Avantageur betrat. Die meisten Herren waren schon in den Nebenräumen des Speisesaales versammelt, und da soeben eine Ordonnanz meldete, daß die Suppe aufgetragen sei, begab man sich alsogleich zu Tisch. Hier traf Güntber auch bald auf seinen Hauptmann, der als Rangältester unter den unverheirateten Offizieren den Vorsitz bei der Tafel führte.

Mit durchbohrenden Blicken musterte zunächst Hauptmann Faerber die neue Extra—Uniform seines Zöglings, an der ihm der zu hohe Kragen und die zu schmalen Achselklappen sofort ins Auge stachen und die er zu einer baldigen Aenderung anempfahl. Inzwischen hatte sich alles gesetzt und auch Hauptmann Faerber begab sich zu seinem Sitze, gefolgt von Günther, der infolge dieser ersten Rüge seines Vorgesetzten wie ein Opferlamin hinterherschlich. Hauptmann Faerber klopfte nun an sein Glas und mit den Worten: „Hier, meine Herren, unser neuer Avantageur Günter,” stellte er diesen dem Offiziercorps vor. Günter warf sich sofort in eine etwas mißglückte militärische Haltung, während die Herren sich von ihren Stühlen erhoben. Nun endlich konnte sich Günther aufatmend an seinen Platz an das unterste Ende der Tafel neben seinen Freund, den Fähnrich John, begeben. Nachdem er noch in Hangen und Bangen seine Suppe gelöffelt hatte, hob sich wieder etwas sein Mut. „John,” rannte er nun seinem Nachbar zu, indem er schmachtende Blicke nach seinem Weinglase warf, was trinken wir denn nun?”

„Mensch!” entgegnete strafenden Blickes Fähnrich John,„was habe ich Ihnen denn vorhin erst dieserhalb lang und breit auseinandergesetzt?”

„Ja, so”, kam es kleinlaut von Günthers Lippen, „natürlich Kiesheimer: Ordonanz, mir bitte eine halbe Kiesheimer!”

Dieser Kiesheimer war ein ungemein billiger Moselwein, den der Hauptmann Faerber, der Sparsamkeit seine Haupttugend nannte, eingeführt hatte. Er wollte seine jungen Kameraden dadurch vor hohen Weinrechnungen bewahren, jedenfalls aber war dieser edle Saft der Reben in Anbetracht seiner geringen Güte wohl noch zu teuer. Hauptmann Faerber trank nur Kiesheimer zu Hause, wie im Casino, und soweit sein Einfluß reichte, tranken ihn nun auch die Herren Kameraden. Unbedingt aber mußten ihn alle Avantageure und Fähnriche trinken, und meistens auch die Lientenants seiner, der 1. Kompagnie. Böse Zungen behaupteten, der Weinlieferant sei Herr Hauptmann Faerbers Onkel, und er habe somit ein materielles wie ideelles Interesse an dieser Säureverkonsumierung. Sei dem wie ihm sei, jedenfalls war Herr Hauptmann Faerber in allen Kreisen des Offiziercorps bekannt und gefürchtet wegen seines Kiesheimers.

Freund Günther hatte sich inzwischen voll Bedacht das erste Glas Kiesheimer eingegossen. Er war von seinem Freunde John über die Qualität des Weines völlig im Unklaren gelassen worden. Eben wollte er sein Glas prüfend an die Lippen setzen, als Hauptmann Faerbers Stimme vom anderen Ende der Tafel herniedertönte: „Na, Günther,” meinte er wohlwollend mit seiner stets etwas eingerosteten Stimme, „was trinken Sie da?”

Erschrocken setzte Günther ab. „Kiesheimer, Herr Hauptmann!” kam es aber sogleich voller Ehrfurcht von seinen Lippen.

„Na, das freut mich, äh, äh, hm, na Günther, Sie sind ja Rheinländer, wie schmeckt er Ihnen denn, Sie sind doch wohl Kenner infolge, äb, hm, Ihrer Nationalität!”

Günther setzte an und nahm einen tüchtigen Schluck, voller Spannung folgten seine Nachbarn, insbesondere Fähnrich John, seinen Bewegungen. Plötzlich setzte Günther erschrocken das Glas ab, mit einer furchtbaren Grimasse.

„Meusch, um Himmelswillen!” raunte Fähnrich John ihm zu, indem er sich vorbeugte, um Günthers Gesicht Hauptmann Faerbers Blicken zu entziehen, „Sie machen ja ein Gesicht, als ob sie niesen wollten?”

Doch schon ertönte Günthers Stimme: „Au... Au ... Ausgezeichnet Herr Hauptmann, ist der Kiesheimer!”

„Na; das freut mich, äh, hm, daß er Ihnen auch schmeckt,” entgegnete Hauptmann Faerber sich triumphierend nach allen Seiten umsehend. „Ja, ja, meine Herren, dieser Wein ist sehr zu empfehlen, insbesondere lege ich Ihnen denselben zu den demnächst beginnenden Manövermärschen ans Herz, ich führe denselben stets bei mir, und er leistet mir immer wieder die ersprießlichsten Dienste.”

Fähnrich John stieß Günther in die Seite. „Merken Sie. sich das, hören Sie!” — —

Das Manöver war herangekommen. Avantageur Günther hatte es im Kiesheimertrinken zu einer wahren Virtuosität gebracht, wodurch er seine mannigfachen dienstlichen Fehler und Untugenden bei seinem Compagniechef immer wieder auswetzte. Er war sogar zum Gefreiten befördert worden.

Heute nun stand das Bataillon, zu welchem Hauptmann Faerbers Compagnie als erste gehörte, auf seinen Exercierplatze zum Abmarsch bereit. Eben war Major Falkstein die Fronten entlang geritten und kam nun zur ersten Compagnie zurück.

„Ich erinnere daran, meine Herren,” begann er zu den Hauptleuten gewandt, „daß Sie mir darauf achten, daß die Leute stets nur Kaffee in den Feldflaschen mitführen. Uebrigens will ich da gleich einmal mich persönlich überzeugen. Was haben Sie in ihrer Feldflasche?” rief er, an den Flügelmann der ersten Compagnie heranreitend.

„Kaffee, Herr Major!” tönte es ihm da entgegen und „Kaffee, Herr Major!” „Kaffee, Herr Major!”, ging es weiter von Mann zu Mann, immer näher kam der Gestrenge unserem Gefreiten Günther, nun kam er an die Reihe.

„Kiesheimer, Herr Major!”

Entsetzt riß Major Falkstein sein Pferd zurück. „Was haben Sie?” „Kiesheimer, Herr Major!” tönte es ihm nun nachmals entgegen.

„Himmeldonnerwetter, was ist denn das? Äha, so hm, weiß schon, Herrrrr! wie kommen Sie dazu?”

.„ Herr Major, ich glaubte,” wollte Güntber mit hülfesuchendem Blick auf seinen Hauptmann beginnen.

„Seien Sie still!” schrie nun der Major,„gießen Sie aus das Sanzeug, ausgießen, ausgießen, sofort!” Herr Hauptmann Faerber, lassen Sie den Menschen jeden Morgen mit seiner Feldflasche zum Rapport antreten, damit er kein derartiges Gift wieder mitschleppt.”

„Zu Befehl, Herr Major!” entgegnete der Hauptmann wie ein Märtyrer auf seinem alten Fuchs hängend. wanrend Günther, innerlich frohlockend den edlen Kiesheimer aus der Flasche zur Erde glucksen ließ.

Es war ein schwerer Schlag für Hauptnann Faerber, und seine Leiden sollten damit noch nicht beendet sein.

Man war ins Bivonak gerückt, hell brannten schon überall die Feuer, die Offiziere saßen vor ihren Zelten, während sich die Mannschaften mit den bekannten Bivonak—Scherzen belustigten. So waren dicht neben dem Offizierszelt der ersten Kompagnie die Mannschaften der zweiten Kompagniefront angetreten, zwei besonders geriebene Kerle, stellten mit Epauletten und Schärpe von Stroh den Major und den Kompagniechef dar. Nachdem in dem Bewußtsein der Redefreiheit allerhand Vorkommnisse der letzten Zeit in gelungener oder minder gelungener Komik vorgebracht worden waren, ertönte plötzlich das mächtige Organ des Pseudo—Majors: „Kerls, nun zeigt ma! Eure Feldflaschen, was haben Sie drin, Flügelmann?” „Kaffee Herr Major!” „So, und Sie?” ging es weiter, „Auch Kaffee, Herr Major!” „Na und Sie, Gefreiter?” „Kiesheimer, Herr Major!” hörte man es da rufen, und „ausgießen, ausgießen das Sauzeug” als Entgegnung, während eine wahre Lachsalve diesen gelungenen Scherz begleitete, worin die Offiziere der zweiten Kompagnie, die vor ihrem Zeite saßen, belustigt mit einstimmten.

In peinlichem Schweigen verharrten indes die Offiziere der ersten Kompagnie, unter ihnen Freund Günther, der als Fuchs beim Grogmachen seines Amtes waltete. Hauptmann Faerber hatte einige Male die Farbe gewechselt, sichtlich zusammengeknickt erhob er sich nun: „Gute Nacht, meine Herren,” meinte er, „ich bin recht müde!” sprachs und verschwand in das wohlwollende Dunkel seines Zeltes. Er hat seitdem seinen Kiesheimer Niemandem mehr angepriesen.

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